Was ist das Impostor-Syndrom? Wenn du dich wie ein Betrüger fühlst, obwohl du erfolgreich bist

Fühlst du dich manchmal wie ein totaler Schwindler – obwohl du eigentlich richtig erfolgreich bist?

Du sitzt im Konferenzraum, alle nicken begeistert zu deiner Präsentation. Dein Chef lobt deine Arbeit öffentlich. Die Kollegen fragen dich um Rat. Von außen betrachtet läuft alles perfekt. Aber in deinem Kopf? Da läuft ein ganz anderer Film: „Die haben alle keine Ahnung. Ich bin ein kompletter Blender. Jeden Moment fliege ich auf.“ Herzlich willkommen beim Impostor-Phänomen – dem psychologischen Zustand, der dafür sorgt, dass du dich wie der größte Hochstapler der Welt fühlst, während du objektiv betrachtet richtig gut in dem bist, was du tust.

Das wirklich Verrückte daran: Du bist damit nicht allein. Überhaupt nicht. Eine systematische Untersuchung von Sakulku und Alexander aus dem Jahr 2011 fand heraus, dass bis zu 70 Prozent aller Menschen mindestens einmal im Leben diese lähmenden Selbstzweifel erleben. Sieben von zehn Personen. Das ist keine kleine Randgruppe – das ist praktisch jeder zweite Mensch um dich herum. Dein Kollege, der immer so selbstsicher wirkt? Kennt das Gefühl vermutlich. Deine Chefin, die scheinbar alles im Griff hat? Ziemlich sicher auch.

Was zum Teufel ist dieses Impostor-Phänomen eigentlich?

Lass uns das mal auseinandernehmen: Das Impostor-Phänomen beschreibt einen Zustand, bei dem Menschen trotz nachweisbarer Erfolge und Kompetenzen felsenfest davon überzeugt sind, dass sie ihre Position nicht verdient haben. Sie glauben, nur durch Glück, perfektes Timing oder geschicktes Täuschen anderer dort gelandet zu sein, wo sie jetzt stehen. Ihre tatsächlichen Fähigkeiten? Die spielen in ihrem Kopf überhaupt keine Rolle.

Die Psychologinnen Pauline Clance und Suzanne Imes beschrieben dieses Phänomen erstmals 1978. Damals beobachteten sie es hauptsächlich bei erfolgreichen Frauen in akademischen Berufen. Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat aber gezeigt: Dieses fiese psychologische Muster macht vor niemandem halt. Egal ob Mann oder Frau, egal welche Herkunft, egal welcher Beruf – das Impostor-Phänomen kann jeden treffen.

Wichtig zu wissen: Es ist kein offizielles Krankheitsbild. Du wirst es im diagnostischen Handbuch für psychische Störungen nicht finden. Es ist vielmehr ein psychologisches Phänomen – aber eins mit richtig konkreten Auswirkungen auf dein Leben.

Die typischen Anzeichen: Erkennst du dich wieder?

Wie zeigt sich dieses Phänomen im Alltag? Hier sind die klassischen Symptome, die Experten immer wieder beobachten.

Du schreibst deine Erfolge allem Möglichen zu – nur nicht dir selbst. Wenn du befördert wirst, denkst du sofort: „Die hatten wohl niemand besseren gefunden“ oder „Pures Glück, nichts weiter“. Wenn ein Projekt super läuft, war es das tolle Team, der einfache Kunde oder perfektes Timing. Deine eigene Kompetenz? Spielt in deiner Wahrnehmung keine Rolle. Psychologen nennen das ein fehlerhaftes Attributionsmuster: Erfolge werden extern zugeschrieben, Misserfolge dagegen immer der eigenen Unfähigkeit.

Die permanente Angst, aufzufliegen. Du lebst in ständiger Furcht, dass irgendwer herausfindet, dass du eigentlich keine Ahnung hast. Jedes Meeting könnte der Moment sein, in dem alle merken: „Moment mal, der Typ kann das ja gar nicht.“ Diese chronische Angst vor Entlarvung ist eines der Kernmerkmale des Impostor-Phänomens. Sie sorgt für massiven Dauerstress und kann langfristig in ernsthaften gesundheitlichen Problemen münden.

Perfektionismus auf Steroiden. Um bloß nicht aufzufliegen, arbeitest du doppelt und dreifach so hart wie eigentlich nötig. E-Mails werden zehnmal überprüft, bevor du sie abschickst. Präsentationen bereitest du vor, als ginge es um Leben und Tod. Und das Perfide: Dieser übertriebene Aufwand bestätigt paradoxerweise dein Gefühl. „Ich musste ja so hart arbeiten – das beweist doch, dass mir das nicht leichtfällt. Also bin ich wohl wirklich nicht gut genug.“

Komplimente peinlich berühren dich. Wenn jemand deine Arbeit lobt, winkst du reflexartig ab. „Ach, das war doch nichts Besonderes“, „Hat nicht viel Zeit gekostet“ oder „Jeder hätte das so gemacht“ werden zu deinen Standardantworten. Du kannst positives Feedback nicht annehmen, weil es einfach nicht zu dem Bild passt, das du von dir selbst hast.

Der ständige Vergleich mit anderen. Du misst dich permanent an anderen Menschen und findest garantiert immer jemanden, der scheinbar besser, schneller oder talentierter ist. Was du dabei komplett übersiehst: Diese Personen denken wahrscheinlich genau dasselbe über sich selbst.

Warum trifft es ausgerechnet die Klugen und Erfolgreichen?

Jetzt wird es richtig interessant: Das Impostor-Phänomen ist keine Störung von Leuten, die tatsächlich inkompetent sind. Im Gegenteil. Es trifft vor allem Menschen, die hohe Standards an sich selbst stellen und sich in anspruchsvollen Umfeldern bewegen. Je mehr du weißt, desto bewusster wird dir, wie viel du noch nicht weißt. Das ist praktisch der Dunning-Kruger-Effekt rückwärts.

Der Dunning-Kruger-Effekt beschreibt, dass Menschen mit wenig Kompetenz ihre Fähigkeiten systematisch überschätzen. Sie sind sich ihrer Unwissenheit nicht bewusst und halten sich deshalb für großartig. Bei kompetenten Menschen läuft es genau andersherum: Sie sehen die Komplexität und Tiefe ihres Fachgebiets sehr genau – und zweifeln deshalb an sich selbst. Sie wissen, was sie alles noch nicht wissen.

Dazu kommt die Sozialisation. Wenn du in einem Umfeld aufgewachsen bist, in dem gute Leistungen selbstverständlich waren und nie gelobt wurden, sondern nur Fehler kritisiert wurden, hast du möglicherweise nie gelernt, deine Erfolge richtig zu verarbeiten. Dein Gehirn hat schlicht keine Strategie entwickelt, um mit positiven Rückmeldungen umzugehen.

Auch gesellschaftliche Faktoren spielen eine Rolle. Menschen aus unterrepräsentierten Gruppen erleben das Impostor-Phänomen häufiger. Wenn du die einzige Frau im Technik-Team bist, der erste in deiner Familie mit Hochschulabschluss oder als Person mit Migrationshintergrund in einer Führungsposition, fehlen dir möglicherweise Rollenmodelle. Du hast niemanden, der dir zeigt: „Ja, Leute wie ich gehören hierher.“

Die konkreten Folgen für dein Leben

Das Impostor-Phänomen ist nicht nur ein komisches Gefühl, das man einfach ignorieren kann. Die Auswirkungen sind sehr real und können dein Leben massiv beeinträchtigen.

Chronischer Stress wird dein ständiger Begleiter. Die permanente Angst vor Entlarvung aktiviert dein Stresssystem dauerhaft. Dein Körper befindet sich im ständigen Alarmzustand. Das führt zu Schlafproblemen, Kopfschmerzen, Verdauungsbeschwerden und einer ganzen Reihe anderer stressbedingter Symptome. Dein Körper kann nicht unterscheiden zwischen der Bedrohung durch einen Säbelzahntiger und der Bedrohung durch ein vermeintlich entlarvendes Meeting – er reagiert auf beides mit Stress.

Deine Karriere bleibt unter deinen Möglichkeiten. Viele Betroffene meiden bewusst Herausforderungen und Chancen. Sie bewerben sich nicht auf bessere Positionen, lehnen Beförderungen ab oder trauen sich nicht, ihre Ideen vorzubringen. Die Logik dahinter: „Wenn ich mich auf diese Position bewerbe und sie dann bekomme, werde ich erst recht auffliegen.“ So wird das Impostor-Phänomen zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Du bleibst unter deinen Möglichkeiten, was wiederum dein Gefühl bestärkt, nicht gut genug zu sein.

Das Burnout-Risiko steigt deutlich. Die Kombination aus Überarbeitung, Perfektionismus und chronischem Stress ist der perfekte Cocktail für ein Burnout. Forschung zeigt klare Zusammenhänge zwischen dem Impostor-Phänomen und emotionaler Erschöpfung. Wer ständig versucht, durch übermäßigen Einsatz seine vermeintliche Inkompetenz zu kompensieren, brennt irgendwann aus.

Auch private Beziehungen leiden. Wenn du ständig glaubst, ein Hochstapler zu sein, färbt das auch auf dein Privatleben ab. Du kannst Lob und Zuneigung schwer annehmen. Du fühlst dich unverstanden oder ziehst dich zurück, um deine vermeintliche Unzulänglichkeit zu verstecken. Echte Nähe wird schwierig, wenn du denkst, dass niemand dich wirklich kennt – und wenn er dich kennen würde, würde er dich ablehnen.

Der ehrliche Selbstcheck: Wie sehr betrifft es dich?

Nimm dir einen Moment und sei wirklich ehrlich zu dir selbst. Wie sehr treffen folgende Aussagen auf dich zu?

  • Ich habe regelmäßig Angst, dass andere entdecken, wie wenig ich eigentlich wirklich weiß
  • Wenn ich Erfolg habe, fällt es mir schwer, ihn anzuerkennen – ich hatte einfach Glück oder die Aufgabe war leichter als gedacht
  • Ich arbeite oft deutlich härter als eigentlich nötig, um sicherzugehen, dass niemand meine vermeintliche Inkompetenz bemerkt
  • Komplimente für meine Arbeit machen mich verlegen und ich wiegele sie schnell ab
  • Ich fühle mich wie ein Betrüger in meiner Position, obwohl ich alle notwendigen Qualifikationen dafür mitbringe
  • Die Vorstellung, vor einer Gruppe zu präsentieren, löst bei mir starke Ängste aus – nicht wegen normalem Lampenfieber, sondern weil ich fürchte, als unfähig entlarvt zu werden

Je mehr dieser Punkte du mit „Ja, absolut“ beantwortet hast, desto wahrscheinlicher spielt das Impostor-Phänomen in deinem Leben eine Rolle. Aber keine Panik – du bist damit nicht allein, und es gibt Wege, damit umzugehen.

Was du konkret dagegen tun kannst

Die gute Nachricht: Das Impostor-Phänomen ist kein unveränderliches Schicksal. Es gibt bewährte Strategien aus der Psychologie, die dir helfen können.

Sammle objektive Fakten über deine Erfolge. Beginne, deine Leistungen konkret zu dokumentieren. Leg dir ein Erfolgsjournal an, in dem du tatsächliche Erfolge, positives Feedback und konkrete Leistungen notierst. Wenn die Selbstzweifel zuschlagen, hast du dann schwarz auf weiß Beweise für deine Kompetenz vor dir. Das ist keine Eitelkeit oder Selbstbeweihräucherung – das ist kognitive Umstrukturierung. Du trainierst dein Gehirn darauf, Fakten zu sehen statt verzerrte Wahrnehmungen.

Durchbrich das fehlerhafte Attributionsmuster. Wenn du das nächste Mal Erfolg hast, zwing dich bewusst dazu, mindestens drei Gründe zu finden, warum dieser Erfolg mit deinen eigenen Fähigkeiten zu tun hat. „Ich habe diese Präsentation gründlich vorbereitet“, „Ich habe die richtigen Fragen gestellt“, „Ich habe mein Fachwissen gezielt eingesetzt“. Dein Gehirn muss neu lernen, Erfolge richtig zuzuordnen – zu dir selbst, nicht zu externen Faktoren.

Sprich darüber mit anderen. Das Impostor-Phänomen lebt von Geheimhaltung. Sobald du mit vertrauten Kollegen, Freunden oder Mentoren darüber sprichst, wirst du feststellen: Du bist nicht allein damit. Diese Erkenntnis allein kann unglaublich entlastend sein. Viele berichten, dass gerade die Personen, die sie für absolut kompetent und selbstsicher hielten, exakt dieselben Zweifel kennen.

Hinterfrage deinen Perfektionismus kritisch. Übe dich bewusst darin, „gut genug“ zu akzeptieren. Nicht alles muss perfekt sein. Setze dir realistische Standards und erkenne an, wenn du diese erreicht hast. Perfektionismus ist oft nur eine Strategie, um Angst zu vermeiden – und die kostet dich wahnsinnig viel Energie, ohne dass du dadurch objektiv besser wirst.

Hol dir professionelle Unterstützung, wenn nötig. Wenn das Impostor-Phänomen deine Lebensqualität stark beeinträchtigt, zu Angststörungen oder depressiven Verstimmungen führt oder dich dauerhaft blockiert, kann psychologische Beratung oder Coaching sinnvoll sein. Kognitive Verhaltenstherapie hat sich als besonders wirksam erwiesen, um diese festgefahrenen Denkmuster aufzubrechen und durch realistischere zu ersetzen.

Die ironische Wahrheit über deine Selbstzweifel

Hier kommt das große Paradox, das du dir wirklich zu Herzen nehmen solltest: Die Tatsache, dass du dich fragst, ob du gut genug bist, ist oft der beste Beweis dafür, dass du es tatsächlich bist. Menschen, die wirklich inkompetent sind, stellen sich diese Frage nämlich in der Regel nicht. Sie überschätzen ihre Fähigkeiten systematisch und sind sich ihrer Defizite gar nicht bewusst.

Deine Selbstzweifel zeigen, dass du reflektiert bist, hohe Standards hast und dir deiner Verantwortung bewusst bist. Das sind keine Schwächen – das sind fundamentale Stärken. Du musst nur lernen, sie als solche zu erkennen und wertzuschätzen.

Das Impostor-Phänomen wird wahrscheinlich nie komplett verschwinden. Selbst sehr erfolgreiche Menschen berichten, dass diese Stimme immer mal wieder auftaucht – besonders in neuen Situationen, bei großen Herausforderungen oder wichtigen Entscheidungen. Der entscheidende Unterschied: Sie haben gelernt, diese Stimme zu erkennen, sie nicht mehr für bare Münze zu nehmen und trotz der Zweifel weiterzumachen. Die Zweifel sind da, aber sie bestimmen nicht mehr das Handeln.

Die Wahrheit ist: Du bist kein Hochstapler. Du bist jemand, der hart gearbeitet hat, Fähigkeiten entwickelt hat und diese Position tatsächlich verdient. Dein Gehirn spielt dir nur einen ziemlich gemeinen Streich – aber jetzt, wo du das weißt und verstehst, wo es herkommt, kannst du anfangen, dich davon zu befreien.

Wenn du also das nächste Mal in einem Meeting sitzt und diese vertraute innere Stimme flüstert: „Du bist ein Betrüger, gleich fliegt alles auf“ – dann atme einmal tief durch und antworte ihr bewusst: „Nein, das ist das Impostor-Phänomen. Ein weit verbreitetes psychologisches Muster, das nichts mit der Realität zu tun hat.“ Allein dieser kleine mentale Schritt kann einen enormen Unterschied machen. Du nimmst der Stimme ihre Macht, indem du sie erkennst und benennst.

Du bist nicht allein damit. Sieben von zehn Menschen kennen dieses Gefühl. Die Erfolgreichen, die Klugen, die Kompetenten – sie alle kämpfen manchmal mit denselben Zweifeln. Der Unterschied zwischen denen, die trotzdem weiterkommen, und denen, die sich davon lähmen lassen, liegt nicht darin, dass die einen keine Zweifel haben. Er liegt darin, dass sie gelernt haben, trotz der Zweifel zu handeln. Und das kannst du auch.

Was sagt deine innere Stimme, wenn du Erfolg hast?
War nur Glück
Ich täusche alle
Die merken’s bald
Nichts Besonderes
Ich hab’s verdient

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