Welche sind die Berufe, die am stärksten vom Impostor-Syndrom betroffen sind, laut Psychologie?

Du hast es geschafft. Endlich. Nach Jahren des Studiums, unzähligen Überstunden und genug Kaffee, um eine Kleinstadt zu versorgen, sitzt du da – in deinem Traumjob, mit dem beeindruckenden Titel auf deiner Visitenkarte. Und dann kommt dieser Gedanke: „Ich bin ein Betrüger. Jeden Moment werden die merken, dass ich keine Ahnung habe.“ Willkommen in der bizarren Welt des Impostor-Syndroms, wo ausgerechnet die erfolgreichsten Menschen nachts wach liegen und sich fragen, wann endlich alle merken, dass sie nur so tun, als wüssten sie, was sie tun.

Hier wird es richtig verrückt: Die Psychologie zeigt uns etwas komplett Kontraintuitives. Es sind nicht die frischen Praktikanten oder Berufseinsteiger, die am meisten unter diesen Zweifeln leiden. Nein, es sind die Top-Performer in den anspruchsvollsten, prestigeträchtigsten Berufen, die sich wie die größten Hochstapler aller Zeiten fühlen. Je erfolgreicher du bist, desto wahrscheinlicher ist es, dass du dich fragst, ob das alles nur ein gigantischer Glücksfall war.

Was zum Teufel ist das Impostor-Syndrom eigentlich?

Bevor wir tiefer eintauchen, klären wir mal, worüber wir hier reden. Das Impostor-Syndrom wurde 1978 von Clance und Imes beschrieben – zwei Psychologinnen, die Menschen untersuchten, die objektiv erfolgreich waren. Sie entdeckten ein faszinierendes Muster: Viele dieser erfolgreichen Personen glaubten insgeheim, ihre Leistungen seien nur Zufall oder Glück. Sie fühlten sich wie Betrüger, die andere getäuscht hatten.

Das Verrückte daran? Diese Menschen hatten oft mehrere akademische Abschlüsse, Auszeichnungen und messbare Karriereerfolge vorzuweisen. Aber in ihren Köpfen tobte ein ständiger Kampf zwischen dem, was sie erreicht hatten, und dem Gefühl, es nicht verdient zu haben. Sie schrieben ihre Erfolge externen Faktoren zu – perfektes Timing, hilfsbereite Kollegen, reinem Glück – während sie jeden Fehler komplett auf ihre angebliche Unfähigkeit schoben.

Eine systematische Übersichtsarbeit untersuchte über 60 Studien mit mehr als 33.000 Teilnehmern und fand heraus: Das Impostor-Syndrom tritt mit einer Prävalenz bei 9 bis 82 Prozent auf, je nach Gruppe und Umfeld. Besonders anfällig sind Menschen mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen wie Perfektionismus, Neurotizismus und der zwanghaften Tendenz, sich ständig mit anderen zu vergleichen.

Der psychologische Mechanismus dahinter

Die Psychologie nennt das Attributionsfehler. Dein Gehirn sortiert Erfolge und Misserfolge in die falschen Schubladen. Erfolge? Das war Glück. Misserfolge? Das war ich, weil ich einfach nicht gut genug bin. Je höher deine Ansprüche an dich selbst, desto größer wird die Kluft zwischen dem, was du erreicht hast, und dem, was du glaubst erreichen zu müssen.

Das Ergebnis ist ein psychologischer Hamsterrad-Effekt: Mehr Erfolg führt zu höheren Standards. Höhere Standards führen zu mehr Selbstzweifeln. Mehr Selbstzweifel führen zu noch härterem Arbeiten. Und der Kreislauf beginnt von vorne. Du kannst nie gewinnen, weil die Ziellinie sich ständig weiterbewegt.

Die Berufe, in denen das Impostor-Syndrom am härtesten zuschlägt

Jetzt wird es richtig interessant. Welche Jobs sind eigentlich am stärksten betroffen? Die Forschung zeigt ein klares Muster: Es sind die Berufe mit hohem Prestige, ständigem Innovationsdruck und intensivem Wettbewerb. Also genau die Jobs, die auf LinkedIn am beeindruckendsten klingen.

Softwareentwickler und Tech-Profis: Die Champions der Selbstzweifel

Überraschung! Die Tech-Branche führt die Liste an. Eine Analyse identifizierte Softwareentwickler, Datenanalysten und andere Tech-Berufe als besonders anfällig für Impostor-Gefühle. Von 500 befragten Tech-Profis berichteten satte 58 Prozent von chronischen Selbstzweifeln. Warum? Die Tech-Welt ist ein Turbo-Universum, in dem sich Technologien gefühlt im Wochentakt ändern.

Du hast gerade eine Programmiersprache gemeistert? Cool, aber hier kommt schon das nächste Framework, das alle für revolutionär halten. Dein Kollege postet auf LinkedIn über seine neueste Zertifizierung. Auf Twitter diskutieren selbsternannte Experten über Technologien, von denen du noch nie gehört hast. Das Gefühl, immer hinterherzuhinken, ist in der Tech-Branche quasi die Werkseinstellung.

Hinzu kommt der ständige Vergleichsdruck. In kaum einer anderen Branche ist es so einfach, die vermeintlichen Erfolge anderer zu sehen – GitHub-Profile mit tausenden von Commits, Open-Source-Beiträge, virale Tech-Talks. Das Problem: Du siehst nur die glänzenden Erfolge der anderen, nicht deren nächtliche Debugging-Sessions und Selbstzweifel. Dein Gehirn zieht dann die logische, aber völlig falsche Schlussfolgerung: Alle anderen wissen, was sie tun. Nur ich bin der Betrüger hier.

Akademiker und Wissenschaftler: Gefangen im Elfenbeinturm der Zweifel

Die akademische Welt ist ein weiterer Hotspot für das Impostor-Syndrom. Eine Studie mit 184 Doktoranden zeigte besonders hohe Prävalenzraten, wobei Frauen und Minderheiten noch stärker betroffen waren. Diese Gruppe bewegt sich in einem Umfeld, wo permanente Bewertung zur Norm gehört: Peer-Review, kritische Gutachten, Konferenzpräsentationen, der ständige Kampf um Forschungsgelder.

Das Akademische hat noch eine zusätzliche Komponente: Machtgefälle. Als Doktorand oder Nachwuchswissenschaftler bist du ständig von der Anerkennung deiner Vorgesetzten abhängig. Jede kritische Anmerkung bei der Doktorarbeit, jedes abgelehnte Paper kann das Gefühl verstärken, nicht gut genug zu sein. Und hier kommt die Ironie: Gerade die klügsten, reflexivsten Menschen – also genau die, die in der Wissenschaft erfolgreich sind – neigen dazu, ihre eigene Kompetenz am stärksten zu hinterfragen.

Führungskräfte und Manager: Einsam an der Spitze

Jetzt wird es wirklich paradox. Selbst Menschen, die es bis in die Chefetage geschafft haben, leiden häufig unter Impostor-Gefühlen. Eine Studie mit über 1.500 Managerinnen und weiblichen Führungskräften zeigte, dass 75 Prozent – drei von vier! – das Impostor-Syndrom erleben. Das ist keine kleine Minderheit, das ist die Mehrheit.

Das Problem bei Führungspositionen: Die Verantwortung ist enorm, die Entscheidungen sind komplex, und es gibt selten klare richtige Antworten. Jede strategische Entscheidung könnte schiefgehen. Jedes Quartalsergebnis wird analysiert. Jeder Mitarbeiter beobachtet dich. Und in deinem Kopf spielt sich ab: Was, wenn ich die falsche Entscheidung treffe? Was, wenn alle merken, dass ich eigentlich keine Ahnung habe, wie man ein Unternehmen führt?

Die Forschung zeigt, dass viele Führungskräfte mit Impostor-Syndrom dazu neigen, Chancen zu meiden – etwa neue Projekte oder noch höhere Positionen – aus Angst, dann endgültig aufzufliegen. Das ist nicht nur für die Betroffenen tragisch, sondern auch für Organisationen, die so auf wertvolle Talente verzichten.

Medizinische Berufe: Zwischen Leben und Tod mit Selbstzweifeln

Ärzte, Chirurgen, medizinisches Fachpersonal – auch diese Gruppen tauchen in den Studien regelmäßig auf. Eine Studie mit 254 medizinischen Studenten fand eine Prävalenz von 47,8 Prozent für Impostor-Syndrom. Fast die Hälfte fühlte sich wie Hochstapler, obwohl sie gerade eines der anspruchsvollsten Studienfächer überhaupt absolvierten.

Der Grund ist offensichtlich: Die Einsätze sind buchstäblich existenziell. Ein Fehler kann Leben kosten. Dazu kommt die lange, anstrengende Ausbildung. Jahrelanges Studium, Facharztausbildungen, Nachtschichten, ständiges Lernen neuer Verfahren und Medikamente. Das medizinische Wissen verdoppelt sich gefühlt alle paar Jahre. Wie soll man da je das Gefühl haben, wirklich angekommen oder kompetent genug zu sein?

Kreativprofis: Wenn jedes Projekt die Zweifel neu entfacht

Designer, Autoren, Künstler, Content Creator – die Kreativbranche ist ein weiterer Nährboden für Impostor-Gefühle. Studien mit Künstlern und Kreativen zeigten hohe Raten von Impostor-Gefühlen aufgrund subjektiver Bewertungen und hohem Wettbewerb. Warum? Weil kreative Arbeit subjektiv ist. Es gibt keine objektiven Maßstäbe für gutes Design oder gelungenes Schreiben. Was heute gefeiert wird, kann morgen verrissen werden.

Hinzu kommt: Kreative Arbeit ist extrem sichtbar. Dein Werk steht da draußen, wird beurteilt, kommentiert, kritisiert. Und selbst wenn ein Projekt erfolgreich war, beginnt beim nächsten alles von vorne. Der leere Bildschirm, die weiße Leinwand – und die Frage: Kann ich das nochmal? Oder war das letzte Mal nur Glück?

Warum ausgerechnet die Erfolgreichen?

Hier liegt das eigentliche Paradox, das die Psychologie so faszinierend macht. Das Impostor-Syndrom ist kein Zeichen von Unfähigkeit – es ist fast schon ein Nebenprodukt von Kompetenz und Bewusstheit. Lass das mal sacken.

Menschen, die wirklich inkompetent sind, leiden oft am Dunning-Kruger-Effekt. Sie überschätzen ihre Fähigkeiten massiv, weil ihnen das Wissen fehlt, ihre eigenen Grenzen zu erkennen. Menschen mit Impostor-Syndrom hingegen sind oft so kompetent und reflexiv, dass sie die Komplexität ihrer Aufgaben vollständig verstehen – und genau deshalb zweifeln sie. Du weißt genug, um zu wissen, wie viel du nicht weißt. Das ist gleichzeitig ein Zeichen von Intelligenz und ein Ticket zum psychologischen Albtraum.

Die Forschung zeigt: Neurotizismus und Perfektionismus sind starke Prädiktoren für Impostor-Gefühle. Aber diese Eigenschaften treiben auch zu Höchstleistungen an. Die gleiche innere Stimme, die sagt „das ist noch nicht gut genug“, motiviert zu exzellenter Arbeit – aber sie schweigt nie. Niemals.

Die soziale Vergleichsfalle

Ein weiterer Mechanismus: In prestigeträchtigen Berufen bist du ständig von anderen hochqualifizierten Menschen umgeben. In der Uni warst du vielleicht der oder die Beste in deinem Jahrgang – aber in deinem ersten Job bei einem Top-Unternehmen sind plötzlich alle um dich herum brillant. Dein Vergleichsrahmen verschiebt sich dramatisch, aber dein Selbstbild hinkt hinterher.

Das Problem verstärkt sich durch selektive Wahrnehmung. Du siehst die makellosen Präsentationen deiner Kollegen, aber nicht die zehn Entwürfe, die sie vorher verworfen haben. Du siehst die veröffentlichten Paper anderer Forscher, aber nicht die zwanzig abgelehnten Manuskripte davor. Du siehst den perfekt funktionierenden Code auf GitHub, aber nicht die hundert Bugs, die zuvor beseitigt wurden. Dein Gehirn vergleicht deine chaotische Innensicht mit der polierten Außendarstellung anderer – und zieht daraus völlig falsche Schlüsse.

Die dunkle Seite: Wenn Impostor-Gefühle zu Burnout führen

Hier wird es ernst. Das Impostor-Syndrom ist zwar kein offizielles Krankheitsbild, aber die Konsequenzen sind real und manchmal verheerend. Die Forschung fand klare Zusammenhänge zu Burnout, Angstzuständen und Depressionen. Das ist nicht nur ein unangenehmes Gefühl – das kann deine Gesundheit ruinieren.

Der Mechanismus ist einfach: Wenn du glaubst, ein Hochstapler zu sein, versuchst du es zu kompensieren. Du arbeitest härter, länger, perfektionistischer. Du sagst nie Nein, weil du Angst hast, als unfähig entlarvt zu werden. Du nimmst keine Hilfe an, weil das ja beweisen würde, dass du es nicht selbst schaffst. Das Ergebnis? Überarbeitung, chronischer Stress und irgendwann der totale Zusammenbruch.

Besonders in den oben genannten Berufen – wo der Druck ohnehin schon hoch ist – kann diese Kombination toxisch werden. Ein Arzt, der keine Schwäche zeigen kann. Ein Entwickler, der jedes Wochenende arbeitet, um mitzuhalten. Eine Führungskraft, die keine Entscheidungen delegiert, weil sie fürchtet, inkompetent zu wirken. Das sind keine nachhaltigen Strategien. Das sind Einbahnstraßen zum Burnout.

Was kannst du dagegen tun? Strategien aus der Forschung

Die gute Nachricht: Das Impostor-Syndrom ist kein unabänderliches Schicksal. Die Psychologie bietet mehrere evidenzbasierte Ansätze, um damit umzugehen. Einer der wichtigsten Schritte ist, die verzerrten Denkmuster zu erkennen. Wenn du verstehst, dass dein Gehirn systematisch Erfolge falsch attribuiert, kannst du beginnen, dagegen anzuarbeiten. Sammle Beweise für deine Kompetenz. Schreib deine Erfolge auf. Wenn dein Gehirn sagt „das war nur Glück“, frage dich: Welche Fähigkeiten und welche Arbeit waren tatsächlich nötig, um das zu erreichen?

Ein weiterer entscheidender Punkt ist konstruktives Feedback. Es geht nicht darum, ständig nach Bestätigung zu suchen. Es geht darum, eine ehrliche Einschätzung deiner Leistung zu bekommen. Bitte Mentoren, Kollegen oder Vorgesetzte um spezifisches Feedback: Was mache ich gut? Wo kann ich mich verbessern? Diese externe Perspektive kann helfen, die verzerrte Innensicht zu korrigieren.

Darüber zu sprechen ist ebenfalls fundamental. Studien zeigen, dass bis zu 82 Prozent der Personen in manchen Gruppen Impostor-Gefühle erleben. Wenn du in deinem Team oder Netzwerk offen darüber sprichst, wirst du feststellen: Fast alle nicken verständnisvoll. Die anderen brillanten Menschen um dich herum haben die gleichen Zweifel – sie zeigen sie nur nicht.

Perfektionismus ist ein Haupttreiber des Impostor-Syndroms. Die Lösung ist nicht, schlechte Arbeit abzuliefern, sondern realistische Standards zu setzen. Frage dich: Was ist gut genug für diese Aufgabe? Nicht jedes Projekt muss dein Meisterwerk sein. Nicht jede E-Mail muss perfekt formuliert sein. Nicht jede Präsentation muss preiswürdig sein. Diese Erkenntnis allein kann bereits enorm entlastend wirken.

Die überraschende Wendung: Ein bisschen Selbstzweifel kann nützlich sein

Hier kommt noch eine letzte Wendung: In moderaten Dosen können Impostor-Gefühle sogar vorteilhaft sein. Forschung deutet darauf hin, dass ein gewisses Maß an Selbstzweifeln zu besserer Vorbereitung, höherer Motivation und größerer Empathie führen kann. Der Schlüssel ist das Wort moderat.

Ein bisschen innerer Druck kann antreiben. Ein bisschen Bescheidenheit kann zu besserem Teamwork führen. Ein bisschen Sorge, Fehler zu machen, kann zu sorgfältigerer Arbeit führen. Das Problem entsteht, wenn aus „ein bisschen“ ein chronischer, lähmender Zustand wird. Die Kunst besteht darin, die motivierenden Aspekte zu nutzen – die Bereitschaft, zu lernen, sich zu verbessern, Hilfe anzunehmen – ohne in die destruktiven Muster zu verfallen.

Wenn du also in einem der oben genannten Berufe arbeitest und manchmal das Gefühl hast, ein Hochstapler zu sein – herzlich willkommen im Club. Du bist in guter Gesellschaft mit einigen der erfolgreichsten Menschen in deinem Feld. Das Impostor-Syndrom ist kein Zeichen von Schwäche oder Inkompetenz. Es ist oft ein Nebenprodukt von Bewusstheit, Reflexionsfähigkeit und hohen Standards.

Die Psychologie zeigt uns, dass gerade in prestigeträchtigen, wettbewerbsintensiven Berufen diese Gefühle besonders häufig auftreten – nicht weil die Menschen dort weniger kompetent sind, sondern weil sie die Komplexität ihrer Aufgaben vollständig verstehen. Die Lösung liegt nicht darin, diese Gefühle komplett zu eliminieren – das ist wahrscheinlich weder möglich noch wünschenswert. Die Lösung liegt darin, sie zu erkennen, zu verstehen und in einen gesunden Kontext zu setzen.

Deine Erfolge sind real. Deine Fähigkeiten sind echt. Und deine Zweifel? Die sind einfach ein Zeichen dafür, dass du klug genug bist, die Grenzen deines Wissens zu erkennen – was ironischerweise genau die Art von Bewusstheit ist, die exzellente Fachleute auszeichnet. Also das nächste Mal, wenn dein innerer Kritiker flüstert „du bist ein Betrüger“, antworte ihm: Nein, ich bin ein Mensch mit einem gut funktionierenden, wenn auch etwas überaktiven Reflexionsvermögen – und das ist eigentlich ein gutes Zeichen.

In welchem Beruf lauert das Impostor-Syndrom am lautesten?
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